Kolumne

Fried – Blick aus Berlin
Der Augenklappe sei Dank – Olaf Scholz überwindet plötzlich die Distanz zwischen Amt und Volk

Nico Fried über die neue Augenklappe von Kanzler Olaf Scholz und seinen überraschend gelassenen Umgang damit 

© Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern

Die Augenklappe hat Olaf Scholz gutgetan. Der sonst so steife Kanzler zeigte Humor und Selbstironie. Die Deutschen lernten: Er kann auch anders.

Es klingt ein wenig paradox, aber die Tage mit der Augenklappe gehören zu den erfolgreichsten in der Kanzlerschaft von Olaf Scholz. Seine Sicht auf die Welt mag durch den schwarzen Vorhang eingeschränkt gewesen sein, aber den Blick mancher Menschen auf den Kanzler hat sie verändert. In Deutschland sammelte Scholz Sympathiepunkte wegen seines lockeren Umgangs mit der Klappe und der eigenen Lädiertheit. Aber auch international zeigten Binde und die dahinterliegende Verletzung beachtliche Wirkung.

Es gibt in der stets sorgfältig inszenierten Welt der Politik spontane Situationen, in denen sich amtsbedingte Distanz unerwartet aufzulösen scheint. Mit Angela Merkel erlebten die Deutschen das in ihrem ersten Amtsjahr: Bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 jubelte sie nach dem 1 : 0 gegen Polen auf der Dortmunder Tribüne so ungehemmt, dass ihr weit aufgerissener Mund tatsächlich tief blicken ließ. Es war im Verhältnis der Bürger zu ihrer damals noch neuen, stets so staatstragend kontrollierten Kanzlerin ein Überraschungsmoment: Die kann ja auch anders.

Der kann ja auch anders – das mögen sich Bürgerinnen und Bürger auch beim Anblick des Kanzlers nach seinem Jogging-Unfall gedacht haben. Dazu hat ausgerechnet eine Fähigkeit von Scholz maßgeblich beigetragen, die in den ersten eineinhalb Jahren seiner Amtszeit…